Was gibt’s im Album »Junctions« zu hören? Musik, die Geräuschhaftes mit instrumental erzeugten Klängen verbindet. Dazu gesellt sich eine Komposition, die hörbar gemachte Klänge elektromagnetischer Felder benutzt. Musique concréte gibt es und Klavierstücke, die sich in keine Schublade fügen.
Manche Titel dieses Albums wecken Assoziationen wie »Approching Volterra« oder »Dans le métro«. Ganze Geschichten kann man hineindenken. Andere Titel klingen eher sperrig wie »12 Punkt 6« oder »Continuum 8« – damit greife ich einfach die kompositorischen Strukturen auf.

Es gibt sie, zeitgenössische „klassische“ Musik, die so spannend ist, dass sich die Frage nicht stellt, wie anspruchsvoll oder anstrengend sie ist. Großes Hörvergnügen, vor allem über eine High End Anlage.

Der Grazer Designer Dieter Paul zum Album »Junctions«

Streaming, Download, CD

»Junction« gibt es zum Reinhören, Download, per Streaming oder auf CD:

Continuum 8

Constantin Brâncușis »Unendliche Säule«: Sie ist aus 32 Elementen zusammengesetzt, je die Hälfte eines Rhombus. Mit dem letzten Element öffnet sich die Säule zum Himmel hin. 

Unendliche Säule, Constantin Brâncuși

In dieser Anordnung sehen Nina May und George Dumitriu eine stehende Welle mit acht Schwingungen. Meine Bewunderung für die Skulptur, Mahnmal und Himmelsleiter zugleich, hat dieser Gedanke noch befeuert. Und bei der Arbeit an »Continuum 8« kam mir die stehende Welle in den Sinn. Ich sah die Bäuche und Knoten der Welle in der zeitlichen Struktur des Stücks aufscheinen, wie eine zur Seite gelegte »Unendliche Säule«.
Von inhärenten Patterns spricht György Ligeti bei seinem Stück »Continuum for harpsichord«, von etwas, das zwar nicht zu hören ist und doch gespielt wird. In einem verwandten Sinn steckt der Gedanke der »Unendlichen Säule« in »Continuum 8«.

Carillon de fer

In Belgien, den Niederlanden und Nordfrankreich sind sie verbreitet, die Carillons auf den Türmen.

Wem jetzt die »Sch’tis« einfallen, der liegt natürlich richtig. Wie auch immer – für »Carillon de fer« habe ich ein Metallophon des Installationskünstlers Wolf Rabe bespielt. Das einer Stanze entsprungene Stück hatte bereits auf meinem ersten Album einen Auftritt. Sein rauhbeiniger und seltsam verletzter Klang schien mir wie geschaffen für ein frei schwingendes Geläut, bei dem der Wind den Carilloneur gibt.

12 Punkt 6

Bei Daniel Gottlieb Türk – er war zur Zeit der französischen Revolution Autor einer großen Klavierschule – stolperte ich über eine Terzbewegung, die mich an minimalistische Strukturen denken ließ. Aus dem Spiel mit den Terzen entstand 12 Punkt 6.

Exposition, zweimal fünf thematisch verwobene Abschnitte und Schluss. Es beginnt simpel mit den Terzen. Pendelt dann zwischen den beiden musikalischen Farben der Abschnitte, variiert sie, lotet flinker werdend den Tonumfang aus und schließt, wie es begann.

Approaching Volterra

Mit 60.000 Sachen rauscht der Brocken durchs All, benannt nach dem italienischen Physiker Vito Volterra. Bei der Annäherung navigierte man wohl durch ganze Felder bedrohlich dahin trudelnder Felsen.

Daran dachte ich einmal als ich die musikalischen Objekte für dieses Stück auf die akustische Bühne brachte, um ihr Ballet zu choreografieren.
Ich widme es Christina Kubisch, die mich mit ihrer Ausstellung »Electrical Moods« dazu inspirierte, Musique concrète aus Klängen hörbar gemachter elektromagnetischer Felder zu schöpfen.

Der Angeln Ruf

Naturgemäß beginnt Musique concrète mit akustischen Erkundungen. Für dieses Stück hörte ich in Ateliers der ehemaligen Rheinischen Tapetenfabrik Bonn-Beuel hinein.

Dort hatte mein Künstlerfreund Wolf Rabe einige Objekte seiner Installationen platziert. Ich nahm auf, was da alles zu bespielen war. Das daraus entstandene Stück durchpflügt untergründige Metren. Doch kaum tauchen dabei Rhythmen auf, verschwinden sie schon.
Vor allem aber kreist das Stück um den Klang einer marmornen Skulptur. Auf einer rostigen Angel in ruckende Drehung versetzt, schickt sie ihren klagenden Ruf in die Ateliers. Zur Hilfe eilen zart knisternde Strukturen, die uns dann auch aus der Tiefe der Räume retten.

Dans le métro

Sitzen und warten auf der Bank eines leeren, unterirdischen Perrons. Ich tappe mit den Füssen ungeduldig auf den glatten Boden. Im Tunnel quietscht es: Dreht da einer Pirouetten auf Gummisohlen?

Plötzlich ist sie da, kam wohl angepirscht wie auf Sneakers, die Pariser Métro. Türen schließen, die Bahn beschleunigt heftig und rollt doch so gedämpft dahin wie bei der Ankunft. Ein Halt, dann wieder einer. Endlich steigen Menschen ein. Weiter eilen die Waggons auf ihren Sneakers.
Überraschend huschen die beleuchteten Fenster eines entgegenkommenden Zuges vorbei. Für einen Moment glaube ich, Queneaus »Zazie« zu sehen, die ihre ersehnte Métrofahrt verschläft. Beim Aussteigen stelle ich mir vor, wie der Zug mit der schlafenden »Zazie« das Depot erreicht und sanft ausrollt.

Klangobjekte

Das akustische Ausgangsmaterial des Albums, Klangobjekte im Sinne der Musique concrète, habe ich zwischen 2008 und 2019 an folgenden Orten aufgezeichnet:
Carillon de fer: In einem Abschnitt des stillgelegten, rechtsrheinischen Eisenbahntunnels vor den Brückentürmen der ehemaligen Brücke vom Remagen, Gmd. Erpel.
Der Angeln Ruf: Atelier des Installationskünstlers Wolf Rabe in der ehemaligen Rheinischen Tapetenfabrik Bonn-Beuel.
Das Ausgangsmaterial für »Approaching Volterra« ist per Induktion aus elektromagnetischen Feldern einer Reihe von Transformatoren, Elektroinstallationen sowie verschiedenen Büro- und Haushaltsgeräten gewonnen.

Vielleicht ist es interessant anzumerken, dass die Quellen, also die akustischen Ursprungsobjekte sich aus meiner Sicht erst bei der Verarbeitung im Studio in musikalische Objekte verwandeln. Denn dabei stelle ich sie in den eigentlichen musikalischen Kontext, in dem sie ihre neue, vom Urprung meist unabhängige Rolle spielen.
Erarbeitung der musikalischen Objekte, Kompositionen sowie ergänzende Instrumentalsätze, Abmischung und Mastering: Studio Sonofolie, Frank J. Witte.

Werkzeuge und Technik

Für »Continuum 8« habe ich u. a. Expressive Lié verwendet; bei »12 Punkt 6« und »Dans le métro« Instrumente der Vienna Symphonic Library. Erhellend zum Thema sample-basiertes Musikmachen ist der Rückblick von Herbert Tucmandl auf seine Entwicklung der Vienna Symphonic Library.
Weitere Werkzeuge: Steinberg Cubase, Steinberg Halion, Sound Particles, Fabfilter.
Mikrofonierungen für die Aufnahmen der akustischen Objekte: MS, ORTF, AB mit Schoeps MK4, MK21+MK8, MK2S, Microtech Gefell M 320, Soundman OKM II, ein induktiver elektromagnetischer Tonabnehmer.

Bildnachweise

Bilder der Kunstobjekte, die bei »Carillon de fer« und »Der Angeln Ruf« zu sehen sind: Wolf Rabe; Fotos Wolf Rabe, Doro Witte, Bernd Zöllner.
Bildobjekte, die bei den Beschreibungen der anderen Titel gezeigt werden: Felsen, Foto Doro Witte; Unendliche Säule, Constantin Brâncuși, Foto: Emilian Robert Vico; Klaviersaiten, Foto: Holger Schué. Pariser Métro, Foto: Gerhard Bögner.

Compact Disc

℗ 2021 Hey!Blau Records, HBL-21001, LC 22792
Pressung & Herstellung HOFA GmbH